2014-Von Adorf nach Biebrich-Heckel

Joppig, Gunther: lnnovative Holzblasinstrumente der Heckelfamilie Meisterleistungen deutscher Instrumentenbaukunst Band 4, hrsg. vom Verein der Freunde und Förderer des Musikinstrumenten-Museums Markneukirchen e. V., Markneukirchen 2014,

Die Heckel-Bücher des Jahres 2014

Der nachfolgende sehr informative Beitrag von Dr. Enrico Weller erschien in der Instrumentenbau-Zeitschrift 5/14.

Firmen-, Familien- und Modellgeschichte einer großen deutschen Werkstatt

Eigentlich bot dieses Jahr keinen äußeren Anlass, ein Buch über die bekannte
lnstrumentenbauer-Familie Heckel zu schreiben. Zwar ist der Name Heckel in
der klassischen Musikwelt seit Jahrzehnten ein Begriff - besonders bei den
Holzbläsern.

Er steht für eine lange Familien- und Firmentradition des
deutschen Musikinstrumentenbaus, für die Entwicktung interessanter und
exklusiver Holzblasinstrumente, die im Falle des Heckelphons sogar den Namen
von Familie bzw. Firma enthalten haben

Reiter, Edith: Wilhelm Heckel. Sechs Generationen im Dienste der Musik Wiesbaden 2014, ISBN 97 B-3-7 37 4-0454_9

ln erster Linie und besonders nachhaltig ist die Verbindung des Namens Heckel mit der
Entwicklung des modernen Fagotts zu sehen, das andere Hersteller lange Zeit als
Modell Heckel adaptiert haben. Aber das letzte große Firmenjubiläum, das 175., liegt
bereits acht Jahre zurück, (1) bis zur nächsten runden Zahl wird es noch eine Weile
dauern.

An den 200 Geburtstag des Firmengründers Adam Heckel (1812-1877) konnte vor 2012
erinnert werden, (2) und das Wagnerjahr 2013 rief an vielen Stellen erneut die starken
lmpulse ins Bewusstsein, die Richard Wagner über die Firma Heckel auf den Bau von
Holzblasinstrumenten ausübte - erwiesenermaßen bei Fagott und Kontrafagott, aber
auch bei der "geraden" Bassklarinette, der Tristan-Schalmei und ihrem
Alternativinstrument Heckel-Clarina, postum beim bereits genannten Heckelphon. (3)

Und doch sind im Laufe dieses Jahres gleich zwei Bücher über Familie und
Firma Heckel erschienen, die - das sei noch vorausgeschickt - keinesfalls als
Konkurrenten zu sehen sind, sondern vielmehr untereinander eine Ergänzung und
Bereicherung darstellen. Das liegt am unterschiedlichen Herangehen an das Thema,
letztlich an den Autoren.

Als langjährige Mitinhaberin der Firma Heckel hat Edith Reiter (Jg. 1937) ihre Familien-
und Firmenchronik verfasst. Auslöser waren Anfragen von Musikern und Sammlern,
denn "die Qualität und Langlebigkeit der lnstrumente und das damit verbundene
Potenzial zum Sammeln machen natürlich jeden Besitzer eines solchen Exemplars auf
seine Historie neugierig."

( S. 7). Dabei konnte sie sich auf das umfangreiche Firmenarchiv, auf historische Geschäfts- und Auftragsbücher und auf musikhistorisch wertvolle Korrespondenzen stützen. Das alles wird abgerundet durch das eigene Erleben: zum einen als Zeitzeugin der von Frau Reiter zwischen 1953 und 1997 mitbestimmten Firmenentwicklung, zum anderen durch die Weitergabe lebendig familiärer Überlieferungen, die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Die Kapitelgliederung des Buches folgt den sechs Generationen der Familienfirma: angefangen bei Firmengründer Johann Adam Heckel, über seinen Nachfolger Wilhelm (1856-1909), den Namensgeber der heutigen Firma, gefolgt von dessen Söhnen August (1880-1914) und Wilhelm Hermann (I879-1952), des letzteren Schwlegersohn Franz Groffy (1896-1972), der fünften Generation, der die Autorin angehört, und endend bei ihren Kindern, die heute die Firma in sechster Generation leiten. Bilder und Reproduktionen aus dem Firmenarchiv illustrieren das historische Bild von den Heckels, sei es durch Patentschriften und technische Zeichnungen oder mit Einblicken in die internationale Korrespondenz zufriedener Heckel-Kunden. Auch private Fotoaufnahmen fehlen nicht.

Wenn man dann noch erfährt, welche musikalischen Hobbys in der Heckel-Familie gepflegt wurden, dass die Heckels leidenschaftliche Hundehalter waren (und sind) oder dass Auguste Heckel manchem Kunden einen handgehäkelten Topflappen schenkte, dann spürt man, was es bedeutet, in einem Familienbetrieb nicht nur zu arbeiten, sondern dort zu leben. Weil die Autorin selbst als praktische Holzblasinstrumentenbauerin tätig war, konnte sie auch hierzu bemerkenswerte Beobachtungen zu Papier bringen. Sie bieten durchaus Verallgemeinerbares, wenn man sie im Hinblick auf die Rolle von Frauen in Männerberufen liest. Schon der allererste
Satz des Buches -,,... es ist schon wieder ein Mädchen", geäußert 1937 von Wilhelm Hermann Heckel - hat sich ihr tief eingeprägt, zeigt er doch das Problem der Altvorderen, wenn die männliche Werkstattnachfolger nicht gesichert schien. Darüber hinaus beschreibt Edith Reiter den Mikrokosmos eines kleinen Unternehmens, wo es Veränderungen nicht immer leicht haben. So liest man beispielsweise von Werkstatthierarchien, dem Geheimhalten von Sondergewinden, dem Kampf um die Umstellung der Maschinen von der Transmission auf den moderneren Einzelantrieb.

(1) Dazu erschien, wie auch schon zu früheren Anlässen, eine Jubiläumsfestschrift ( 175 Jahre
Kunstwerkstätte feiner Holzblasinstrumente Wilhelm Heckel, Biebrich, 1831-2006, Wiesbaden 2006.).

(2) Gunther Joppig: Johann Adam Heckel zum 20O. Geburtstag, in: Rohrblatt 27.3 (2012),
S. 133-140 und 281. (2013), S.8-13.

(3) Zum Beispiel: Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig: Goldene KIänge im
Mystischen Grund. Musikinstrumente für Richard
Wagner, Leipzig: Koehler & Amelang 2013.

Sämtliche lnstrumente sind dokumentiert!

Einen besonderen Schatz für Musiker und Sammler enthalten die letzten 117 Seiten des Buches: ein Nummernregister aller bei Heckel gefertigten lnstrumente, sofern sie dort ab 1852 dokumentiert wurden und es nicht zwischenzeitliche Lücken in den Firmenunterlagen gab. Und das nicht nur für die Fagotte und Kontrafagotte, sondern auch für alle anderenBlasinstrumente, die anfangs oder zwischenzeitlich hergestellt wurden.

So ist der Bau von Klarinetten bis 1948 dokumentiert, der von Flöten bis 1949, der von Oboen und Englischhörnern bis 1971 bzw. 1967 , sogar Trompeten gelangten von 1896 bis 1911 zur Auslieferung. Neben der Seriennummer und dem Lieferdatum ist auch das Land des ersten Käufers vermerkt. Mag sein, dass man sich auf diesem Wege häufige Anfragen erspart, die man als Traditionsbetrieb heute mehr denn je zu den Erzeugnissen der Vergangenheit erhält. Aber ist es nicht auch ein großer Vertrauensbeweis in die Freunde der Heckel-lnstrumente, wenn man diese Seriennummern als Firmeninterna nicht geheim hält, sondern der Allgemeinheit in angemessener Weise zur Verfügung stellt?

Bei einem Ausstellungsrundgang führt Gunther Joppig die Heckelphon- Klarinette vor.

Joppig: Fachmann und Kenner des Hauses

Gunther Joppigs Buch zur Familie Heckel ist der Katalog zu einer Sonderausstellung, die im Markneukirchner Musikinstrumenten-Museum von Mai bis Oktober 2014 zu sehen war.
Der promovierte Musikwissenschaftler, praktizierende Musiker und langjährige Sammlungsdirektor des Musikinstrumentenmuseums im Münchner Stadtmuseum (Seb. 1943) gilt seit Jahrzehnten nicht nur als Fachmann auf dem Gebiet der Rohrblattinstrumente, sondern als ausgewiesener Kenner des Hauses Heckel und seiner vielfältigen Fabrikate. Der Ursprung der Firma Heckel im vogtländischen Adorf gab den Ausschlag, die Sonderausstellung im Markneukirchner Museum zu veranstalten.

Aus der Privatsammlung von Gunther Joppig wurden 73 lnstrumente ausgestellt: 15 Fagotte, 6 Kontrafagotte, 9 0boen, 2 Oboen d'amore, 7 Englischhörer, 3 Flöten, 15 Klarinetten, 7 Bassklarinetten, 2 Bassetthörner, 2 Heckel-Clarinas, 1 Heckelphon-Klarinette, 3 Heckelphone und 1 Musette.

Dank der Fotos von Restaurator Frank Fickelscherer-Faßl kommen sie im Katalog hervorragend zur Geltung. Wie es der Titel des Buches verrät, hat sich Gunter Joppig von den vielen lnnovationen der Firma Heckel leiten lassen. Die ausgewählten lnstrumente ermöglichen es, die Entwicklung einzelner Holzblasinstrumente und spezieller Modelle in der Biebricher Werkstatt aufzuzeigen. Dazu hat der Autor alle verfügbaren historischen Kataloge und Angebotslisten ausgewertet. Die Kurzbeschreibung der lnstrumente orientiert auf wesentliche Merkmale und zitiert die Aussagen, mit denen die lnstrumente zu ihrer Zeit in den Katalogen der Firma Heckel beworben wurden.

Foto aus der Heckel Sonderausstellung im Musikinstrumenten -Museum Markneukirchen

Angaben zu den Vorbesitzern lassen weitere instrumentenkundliche Qeuerverbindungen zu. Drei lnstrumente tragen die Signatur "Seidel/
Mainz", für diese Firma hat Adam Heckel in seinen Anfangsjahren gearbeitet. Ein mit ,"Jehring/Mainz" signiertes Fagott belegt die Anfänge des Almenräder-Modells, das die Basis des Heckel-Fagotts bildete.

Den sieben Katalogteilen ist jeweils ein Textkapitel vorangestellt, das einen Abschnitt der Firmengeschichte erhellt und mit passenden Bilddokumenten illustriert. Hierbei geht man ebenfalls chronologisch vor: Dem Firmengründer Johann Adam Heckel und damit dem Produktionsspektrum der frühen Heckel-Werkstatt sind zwei Teile gewidmet, gefolgt von je einem Kapitel zu Wilhelm Heckel und seinen Söhnen Hermann und August. Zur "Kunstwerkstätte feiner Holzblasinstrumente" - unter dieser Bezeichnung firmierte man ab ca. 1927 - gibt es ebenfalls zwei Teile, die sich jeweils mit der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg befassen. Herausgelöst sind die Beiträge der Firma Heckel zum Saxophonbau, die anhand der Heckel-Clarina und der äußerst seltenen Heckelphon-Klarinette diskutiert und dokumentiert werden.

Als Musikwissenschaftler betrachtet der Autor das Werden und Wachsen der Firma Heckel nicht losgelöst von weiteren Quellen, indem er seine Befunde in die instrumentenkundlichen Forschungen einordnet. Das Literaturverzeichnis verweist auf zahlreiche Monografien und Aufsätze, die das musikhistorische Umfeld der Heckel-Geschichte erhellen. Als Beispiele seien die lnstrumentationslehre von Berlioz/Strauss, die Fagottschule von Julius Weissenborn, die Briefe Richard Wagners und unzählige Veröffentlichungen der Zeitschrift für Instrumentenbau genannt. Auf dieser Grundlage ist dem Autor auch eine kritische Distanz zu mancher mündlichen Überlieferung möglich.

ln kleinen Exkursen werden Autoren wie Wilhelm Altenburg, L. G. Langwill oder Anthony Baines vorgestellt, deren Arbeiten heute zu wichtigen Quellen nicht nur hinsichtlich der Famile Heckel gehören. Auch wenn sich beide Heckel-Bücher des Jahres 2014 ihremThema mit unterschiedllcher Perspektive widmen, gibt es einige Gemeinsamkeiten: Den chronologischen Aufbau, die große Zahl an Fotos und weiteren Bilddokumenten und die zweisprachige Ausgabe (deutsch und englisch), womit man dem internationalen lnteresse am Thema sehr entgegenkommt.
ln ihrer Art sind beide Bücher eine Rückschau: Edith Reiter blickt nach einem erfüllten Arbeitsleben auf die Geschichte ihres Familienbetriebs, der gleichsam ein Unternehmen von Weltgeltung ist. Gunther Joppig kann nach einem halben Jahrhundert des leidenschaftlichen Sammelns und Forschens von Heckel-lnstrumenten und -Dokumenten eine ebenso reiche Bilanz ziehen.